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Das kleine Wunder von Lena
Lena wurde im Frühjahr 2015 auf der Straße gefunden und ins Menhely Tisakecske gebracht. Sie war völlig verwahrlost, zerzaust, ausgehungert, nur noch ein verzweifeltes Bündel Hund.
Nun hatte sie einen sicheren Platz und regelmäßig Futter. Und sogar Impfungen und tierärztliche Versorgung kamen dazu.
Aber sie war weiterhin nur geduldet, bekam sehr wenig Aufmerksamkeit.
Auf der Internet-Seite der PHU bekam sie ein Inserat, nachdem sie sich einigermaßen erholt hatte. Und nach einigen Monaten wurde sie dort entdeckt von Menschen, deren Herz durch ihren traurigen Blick angerührt wurde.
Nach Vorkontrolle und Abwicklung sämtlicher Formalitäten schien das Wunder wahr geworden. Sie durfte nach Deutschland ausreisen, zu „ihrer“ Familie, eine Heimat schien gefunden.
Tatsächlich begann nun ein Ping-Pong-Spiel und Lena war der Ball. Ein Unterpfand vergleichbar mit einem Scheidungskind. Zwei erwachsene Menschen waren miteinander im Clinch – am einen Tag sollte Lena sofort wieder verschwinden, am nächsten Tag konnte man sich nicht von ihr trennen. Und das in regelmäßigem Wechsel.
Wie hat sich Lena dabei gefühlt?
Für die PHU war dieses Hin und Her nicht länger tragbar und so beendeten die Verantwortlichen nun sofort diese unselige „Vermittlung“. Unverzüglich wurde Lena beim Besitzer abgeholt und zog auf einer Notfall-Pflegestelle ein.
Alle Vorsichtsmaßnahmen für die erste Begegnung mit den beiden kastrierten Rüden der Pflegestelle wurden eingehalten. Die Jungs waren zuerst Joggen, dann Spazieren. Auch Lena hatte einen 45 Minuten Spaziergang. Und dann traf man sich auf neutralem Gelände. Alle freuten sich für Lena und auf das neue, wenn auch kleine, Glück.
Zicke!
Sie ging aggressiv nach vorne auf die gar nicht schwächlichen Rüden los, bellte wie wild und schnappte. Uff! Das ging völlig in die Hose. Der Spaziergang wurde in 5 Metern Abstand zu Ende gebracht und die Hunde auf der Pflegestelle zum Abregen getrennt.
Am Abend folgt der nächste Versuch. Die Hunde der Pflegestelle waren nun schon ein bisschen misstrauisch, ob dieser neuen Mitbewohnerin zu trauen sei. Sie legte sich sofort fest und knurrte den Seniorenhund an. Dies nahm der jüngere „Chefhund“ zum Anlass, seinen treuen Kumpel zu verteidigen. Die zart wirkende Lena riss sich los und ging voll auf Attacke.
Die Menschen brauchten viel Lärm, Kraft und Energie um die beiden zu trennen. Der Chefhund war deutlich stärker, aber Lena hat die spitzeren Zähne. Und so floss auf beiden Seiten Blut. Mist.
Zicke!
Also wieder getrennte Unterbringung. Am nächsten Tag wurde ein erneuter Anlauf auf dem Sportplatz unternommen. Die beiden Rüden waren völlig entspannt. Auch der getrennte Weg dorthin verlief friedlich. Der ältere Rüde wurde auf dem Platz abgeleint und beobachtete das folgende Geschehen aus sicherer Entfernung.
Der Chefhund und die Zicke hatten Schleppleinen. Der Rüde saß auf der Veranda und als sich nichts tat, legte er sich auf die Seite und beobachtete ebenfalls. Lena an der Schleppleine mit Mensch lief nun in ständig sich verkürzender Entfernung am liegenden Vierbeiner vorbei. Hin und her, fast wie Ping-Pong. Und es geschah – nichts.
Nach einiger Zeit gingen Menschen und Hunde zurück nach Hause. Der Abstand wurde gewahrt, keine Probleme. Unterbringung zum Ausruhen getrennt.
Am Abend hielten sich die beiden Rüden im Hof auf und Lena kam an der Leine nach draußen. Sie schaute sich kurz um, fixierte ihren „Lieblings“senior wand sich, zog und vollführte knurrend Tänze – und erreichte so Kampfnähe zum Chefhund, der sich schützend vor seinen Kumpel stellte. Wieder Kampfknäuel.
Zicke!
Nun war klar, dass es so nicht weiter gehen konnte. Nach nur drei Tagen hatte sich Lena ihr schönes kleines Glück zerstört. Der Hund muss weg. Eine Zusammenführung in absehbarer Zeit ist nicht möglich, die getrennte Haltung auf Dauer zu aufwändig und der Stress allen drei Hunden und der Pflegestelle nicht zumutbar.
Leider war das die letzte Notfall-Pflegestelle der PHU. Trotz Notfall-Aufruf auf der Startseite und Anfrage bei befreundeten Organisationen gab es keinen Platz für Lena. Am Samstag würde sie zurück nach Ungarn fahren müssen. Kein Platz für diesen Flüchtling – ausgewiesen wegen Zickigkeit.
Aber Lena hat auch noch diese andere Seite. Wenn sie alleine ist, dann ist sie der liebste Hund der Welt. Sie bleibt beim Spaziergang eng an der Seite ihres Menschen und das konsequent links. Fremde Hunde interessieren sie dabei überhaupt nicht. Sie genießt es, wenn man sie streichelt. Sie schnurrt fast, wenn man sie bürstet. Sie spielt mit großer Begeisterung Ball.
Ein Handtuch, mit dem sie eigentlich abgerubbelt werden soll, begreift sie sofort als Spielzeug und genießt das Zerren und Fangen. Sie achtet behutsam darauf, dass sie den Spielpartner nicht verletzt. Sie geht unbefangen auf fremde Menschen zu ohne aufdringlich zu sein. Sie kann stundenlang ruhig da liegen und chillen. Sie ist unglaublich neugierig und untersucht alles ganz genau. Und sie liebt es Auto zu fahren.
Ein perfekter Hund.
Und dieser perfekte Hund soll nun zurück nach Ungarn. Das Pflegestellen-Frauchen konnte dazu nur nicken. So ist das eben, wenn man eine solche Zicke ist. Das Pflegestellen-Herrchen wollte es einfach nicht glauben. Gibt es denn nicht irgendwo in Deutschland eine Pflegestelle ohne eigenen Hund? Tag und Nacht grübelte er über diesem Problem. Alle Freunde, Bekannten, Nachbarn wurden in Gedanken durchgespielt. Wen konnte man denn noch fragen? Das Tiertaxi für Samstag war bestellt, Abholung um 13 Uhr. Fahrt zur Autobahnraststätte und Übergabe dort an Gabor zur Rückfahrt nach Ungarn.
Der arme Hund! Der arme Hund hatte sich in seinem Kopf festgesetzt. Und in sein Herz eingeschlichen. Am Freitag um die Mittagszeit ging er wieder einmal seine Liste durch. „Und warum fragen wir nicht einfach unsere Freundin und Notfall-Hundesitterin?“ „Weil ich das nicht will. Wer soll dann bei uns im Notfall einspringen? Ich frage sie jedenfalls nicht!“
Dieses Herrchen kann extrem beharrlich sein. Nach langem Insistieren schrieb das entnervte Frauchen eine WhatsApp-Nachricht: „Könntest du heute nach der Arbeit ganz spontan zu uns reisen? M. meint, dass du mit Lena ein gutes Paar wärst. Sonst fährt sie morgen um 13 Uhr zurück nach Ungarn. Und du darfst zu jedem Zeitpunkt Nein sagen.“ „Puh, wie lange kann sie denn alleine bleiben?
Fahre nächsten Donnerstag für eine Woche nach Berlin. Ist gleich ein ziemlich unglücklicher Start. Brauche Zeit zum Nachdenken.“ (10.46 Uhr)
„Komm einfach so schnell wie möglich her. Du musst schauen, ob sie zu dir passt.“
12.49 Uhr: „Bin von der Arbeit zur Straßenbahn gerannt. Sitze drin. Gerade am Überlegen, was Zuhause getan werden muss.“
14.02 Uhr: Sitze in der Straßenbahn zum Hauptbahnhof. Hoffentlich ist der ICE pünktlich.“
14.25 Uhr: „Stehe am Bahnsteig.“
14.35 Uhr: „Zug kommt.“
14.41 Uhr: „Sitze drin.“
15.48 Uhr: Zug steht immer noch in M (Zwischenstation), technischer Defekt.“ 16.27 Uhr: „Mist-Unternehmen! Sollte Züge warten statt Bahnhöfe bauen!“
16.39 Uhr: „Sitze in der S-Bahn. Habe gerade gute Kondition. Sonst hätte dieser Sprint nicht geklappt.“
Sie steigt im Hof aus dem Auto. Lena kommt vorsichtig näher, schnuppert, leckt ihr die Hand. Im Haus toben die beiden Rüden, die sofort erkannt haben, wer da gekommen ist. J. geht zu den beiden Vierbeinern ins Haus und nimmt den ganz großen Bahnhof entgegen. Lena kläfft ungeduldig im Hof. Was versäumt sie da jetzt?
Pause. J. muss erst mal essen und trinken. Die Rüden beruhigen sich im Haus und auch Lena draußen entspannt sich.
Endlich. Lena darf mit J. spazieren gehen. Und sie zeigt sich von ihrer besten Seite.
J. hat Zeit zum Überlegen bis Samstag um 9 Uhr. Dann muss das Tiertaxi ggf. abbestellt werden.
Am Abend werden alle Eventualitäten durchgespielt. Es folgt eine schicksalsschwangere Nacht.
Am frühen Morgen wird Lena von J. gefüttert und sie machen einen kleinen gemeinsamen Spaziergang. J. stellt fest, dass Lena einen ausgesprochenen Linksdrall hat. J. ist eine rote Socke. Sie stellt sich vor, dass eine überzeugte Linke nun zurück nach Ungarn geschickt werden soll. Das kann sie nicht verantworten.
Samstag, 9.02 Uhr: WhatsApp an Anke Waiz „Tiertaxi bitte abbestellen.“
Große Erleichterung bei Anke. Denn – das Tiertaxi hatte zu diesem Zeitpunkt den Termin bereits abgesagt wegen eines Wildunfalls. Eine Transportalternative hätte gesucht werden müssen. Sehr schwierig. Anke hatte einfach darauf vertraut, dass das „kleine Wunder“ wahr werden würde.
Nun ist alles hoch kompliziert. Individuelle Lösungen müssen gesucht werden für die schon geplanten Abwesenheitstermine der Wunder-Pflegestelle. Erledigt.
Allerdings, einer Bedingung muss die PHU zustimmen. Lena zeigt sich weiterhin als vollendete Zicke. Und deshalb muss sie umgetauft werden. Das ist eigentlich ausdrücklich untersagt. Nur in diesem einen einzigen Fall wird nun eine begründete Ausnahme gemacht. Ihr neuer Name ist „Liba“.
Warum?
„Liba“ ist der ungarische Ausdruck für „Zicke“. Ein kleines Wunder in letzter Sekunde hat sich für Lena aufgetan. Nun soll sie wirklich beim Namen genannt werden in der Hoffnung, dass dies ein großes, großes Wunder bewirken wird.
Das große Wunder für Lena, das soll der endgültige feste Platz bei einer Familie sein, die sich für diesen tollen Hund immer wieder begeistern kann.
Liba – Talisman und Synonym für das große Wunder.
Pfotenhilfe Ungarn Team
Copyright: Anne für Pfotenhilfe